Bereits im Vorwort stellt Vincent Bugliosi klar, dass er keinesfalls am zweifelhaften Ruhm des wohl berühmtesten Massenmörders teil haben will, sondern es ihm nicht nur von Berufs wegen um die Opfer geht. Das weltweite Interesse an Geburtstagen des Killers oder den Jahrestagen des Verbrechens befremden ihn eher. Das war für Bugliosi der Grund, gemeinsam mit dem Schriftsteller Curt Gentry die Chronologie des Grauens zu schreiben. Dafür erhielten sie den Edgar Allan Poe Award.
So strukturiert wie Bugliosi als Staatsanwalt arbeitete, ist auch das Buch aufgebaut
Die Bildunterschriften zu den Fotos, Übersichtskarten und Skizzen im Teil mit den Abbildungen folgen praktischerweise direkt dem Vorwort. Natürlich blättert der Leser daraufhin zunächst zur Mitte des Buches und verschafft sich so einen visuellen Überblick zum kompletten Geschehen und allen Beteiligten. Danach folgt eine Auflistung der auftretenden Personen, bis die Autoren schließlich mit „Teil 1: Die Morde“ fortfahren. So stellt man sich die offizielle Akte vor, bis Bugliosi als leitender Staatsanwalt im Prozess gegen die „Manson Familiy“ die Ermittlungen selbst leitet und protokolliert.
Selbst wenn es um Nebenschauplätze und Prominente geht, wie beispielsweise Truman Capote, der in Johnny Carsons Tonight Show zu einer Diskussion über das Verbrechen eingeladen wurde, bleibt Bugliosi bei den Fakten – alles belegbar anhand von Protokollen, Notizen, Verhören usw.
Weltanschauung, Hippie-Kultur und Beatles – Manson benutzte sie alle
Nicht umsonst wurde „Helter Skelter“ zum Weltbestseller und über sieben Millionen Mal verkauft. Es wird Mansons Kindheit beschrieben und wie junge Menschen in die Fänge dieses ungebildeten, aber rhetorisch begabten Kerls geraten konnten. Am deutlichsten zeigt sich das wohl an dem Schlüssel-Begriff „Helter Skelter“, dessen Wortsinn Manson nicht klar war – seine göttlichen Idole, die Beatles, sprachen britisches Englisch und kein amerikanisches. Durch den zufälligen Kontakt zu Denis Wilson von den Beach Boys, bei dem die Family zeitweise wohnte, versuchte Manson, ebenfalls zu einem Gott zu werden – ohne Erfolg. Also gründete er seine eigene Kommune, die „Manson Family“ und erfand eine eigene Weltanschauung, die er „Helter Skelter“ nannte. Nach den Morden an der Schauspielerin Sharon Tate (damalige schwangere Frau von Regisseur Roman Polanski) und ihren Freunden brodelte die Gerüchteküche, es herrschte Angst bei den Hollywood-Größen von Steve MacQueen bis Frank Sinatra, Partys wurden abgesagt und Misstrauen beherrschte die Menschen.
Laut Linda Kasabian litt die komplette Family unter „Verfolgungswahn vor den Schwarzen“
Kasabian war einst Jüngerin von Charles Manson und eine der wichtigsten Zeuginnen in den Ermittlungen. Während sich Bugliosi mit den Tücken der Gesetzgebung und der Zusammentragung von Fakten herumschlug, tat sich parallel dazu vor ihm ein unglaubliches Szenario auf: Aus dem einst Kleinkriminellen und erfolglosen Künstler war mittlerweile der selbst ernannte Gott, Menschenhändler, Zuhälter und Rassist Charles Manson geworden, der insofern Morde ganz vorsätzlich plante, weil er sie wissentlich so befahl, dass er selbst sich dabei die Finger nicht schmutzig machte. Laut seiner Theorie würden die Schwarzen die Weltherrschaft übernehmen, indem sie die Weißen überfielen und abschlachteten. Letztlich jedoch war es die Manson Family, die Roman Polanskis Ehefrau Sharon Tate und ihre Freunde abschlachteten, ebenso wie ihre späteren Opfer, die LaBiancas.
Blinder Gehorsam, endlich ein Zuhause, Sex als Liebesersatz und Drogen…
Es waren sicherlich verwahrloste Kinder, die in Mansons Hände fielen. Doch sie alle wussten, was Recht und Unrecht ist. In mühevoller Kleinarbeit konnten Bugliosi und seine Kollegen dies beweisen – und überlebten. Nicht jedem war dieses Glück beschieden, denn während des Prozesses wurden weitere Morde in Auftrag gegeben oder angedroht.
Manson selbst war übrigens gar nicht so sexbesessen, wie es die Legende gern behauptet. Vielmehr bot er seine Jüngerinnen als Ware an, damit er seine Kommune vergrößern konnte. Damit das funktionierte, verbot er unter anderem auch den Kontakt zwischen Müttern und Kindern. Unvorstellbar und wohl nur mit psychischen Folgeschäden vom übermäßigen Drogenkonsum in der Kommune erklärbar ist die Tatsache, dass diese Frauen Manson sogar im Nachhinein, während des Prozesses noch beschützten. So sagte Ruth Ann Moorehouse, Mitglied der Family: „Kurz bevor wir in der Wüste verhaftet wurden, waren wir zwölf Apostel und Charlie.“
Ein wichtiges Buch, weil es den Opfern gerecht wird, indem es anhand klarer Fakten die Faszination um einen grausamen Killer und seiner Mittäter enttarnt. So sei hier abschließend noch der treffende Titel des Epilogs genannt: „Eine kollektive Geistesstörung“
Vincent Bugliosi mit Curt Gentry: Helter Skelter. Der Mordrausch des Charles Manson. Eine Chronik des Grauens
riva Verlag 2010
ISBN 978-3-86883-057-6
784 Seiten, Hardcover
Preis: 24,90€
Katrin Asmuss