Innovative pädagogische Strategien gegen radikale Ideologien
Ein bisher einzigartiges Programm nimmt die Innenwelt radikalisierter junger Menschen in den Fokus. Ob rechts, links oder religiös motiviert: In 40 Einzelsitzungen werden junge radikalisierte Menschen von speziell geschulten Pädagogen und Pädagoginnen angeregt, sich mit innerpsychischen Besonderheiten auseinanderzusetzen, die häufig dazu beitragen, dass sie sich extremistischen Gruppierungen anschließen. Durch eine Nachreifung verschiedener psychosozialer Fähigkeiten werden radikalisierte Jugendliche und Heranwachsende in die Lage versetzt, sich von diesen Gruppen distanzieren zu können.
Ein neuartiger Blickwechsel bereichert
Mit einem neuartigen Ansatz bereichert Blickwechsel die Berliner Maßnahmenlandschaft im Bereich Deradikalisierung. Bisher wurde mit jungen radikalisierten Menschen überwiegend an ihren religiösen oder ideologischen Einstellungen gearbeitet – ein wichtiger Aspekt, der in einigen Fällen jedoch zu kurz greift; Radikalisierung geht oft mit bestimmten innerpsychischen Phänomen einher, die den Anschluss an solche Gruppen begünstigen.
Gut oder böse
Manche Menschen halten beispielsweise Uneindeutigkeit nicht gut aus und spalten deshalb die Welt in „gut“ und „böse“, „richtig“ und „falsch“, „die da oben“ und „wir hier unten“ usw., um die Welt für sich übersichtlicher und damit besser aushaltbar zu machen. Radikale Gruppen bedienen sich grundsätzlich solcher Spaltungen. Schließt man sich ihnen an, ist man nicht nur selbstverständlich auf der „richtigen“ Seite, sondern bekommt auch entlastend einfache Erklärungsmuster angeboten. Auch Personen, die ein geringes Selbstwertgefühl haben, fühlen sich häufig von radikalen Gruppierungen angezogen. Hier erfahren sie die Zugehörigkeit, Verbundenheit und Aufwertung, nach der sie sich so sehr sehnen, außerdem können sie gemeinschaftlich „Fremdes“ oder „Anderes“ (was ihnen ohnehin suspekt ist) ab- und sich damit aufwerten. Gleichzeitig wird dem Leben mit dem Anschluss an eine solche Gruppe ein neuer Sinn gegeben. Psychosoziale Einschränkungen wie die hier beschriebenen legen Radikalisierung in manchen Fällen geradezu nahe. Radikale Strukturen ziehen manche junge Menschen gleichsam magnetisch an, denn sie machen ihnen (vermeintlich) passgenaue Angebote und Versprechungen, die Antworten, Entlastung, Eindeutigkeit und Aufwertung zu bieten scheinen.
Nicht Ideologie oder Religion
Das neue Programm „Blickwechsel“ folgt einem bislang außergewöhnlichen Ansatz: In der Arbeit mit den jungen radikalisierten Menschen steht nicht wie üblich die Ideologie oder Religion im Mittelpunkt, es geht vielmehr um eine Nachreifung bestimmter innerpsychischer Funktionen, die eine Radikalisierung begünstigen. Um junge Menschen nachhaltig aus radikalen Gruppierungen zu lösen, muss der Blick auf deren Innenwelten gerichtet werden, um dort Veränderungen anzustoßen. Dies kann nur innerhalb einer stabilen, wertschätzenden, haltgebenden Arbeitsbeziehung mit Pädagogen und Pädagoginnen gelingen, die im Umgang mit beziehungsgestörten jungen Menschen erfahren und entsprechend geschult sind.
Wissenschaftliches Modellprojekt für pädagogisch Arbeitende
Die Denkzeit-Gesellschaft e.V., ein Freier Träger der Jugendhilfe, bietet in einem wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt erstmalig eine solche Chance: Lehrkräfte, sozialberuflich Tätige und andere, die in ihrem Umfeld mit radikalisierten oder sich radikalisierenden jungen Menschen konfrontiert sind, können diese ab sofort zuweisen. Das pädagogische Einzeltrainingsprogramm „Blickwechsel“ findet dann zweimal pro Woche über ca. 6 Monate statt. Durch die Förderung der Landeskommission Berlin gegen Gewalt ist dieses Angebot kostenfrei.
Weitere Informationen und die Anmeldeformulare zu „Blickwechsel“ finden sich auf der Homepage der Denkzeit-Gesellschaft: www.denkzeit.com/deradikalisierung
(Quelle: Denkzeit-Gesellschaft e.V.)